Im März 2018 stellen wir Stimmberechtigten in Wallisellen die Weichen für eine neue Organisationsform der Gemeinde. Sollen wir das heutige Konstrukt mit einer Gemeindeversammlung beibehalten oder in gut 4 Jahren, wenn die Bevölkerung voraussichtlich auf über 20‘000 angestiegen ist, ein Gemeindeparlament einführen? Eine Analyse des bestehenden Systems hilft beim Entscheid.

Die SP Wallisellen hat sich, im Gegensatz zum Autor dieses Artikels, für Stimmfreigabe zwischen Gemeindeversammlung und Parlament entschieden.

Seit gut einem Jahr beschäftige ich mich mit dieser Frage und je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer wird, dass die Gemeindeversammlung für Wallisellen nicht mehr geeignet erscheint. Es sind nicht nur die trotz stark gewachsener Bevölkerung sinkenden Teilnehmerzahlen die zu denken geben und die demokratische Legitimation in Frage stellen. Es gibt beim näheren Hinsehen noch viele weitere Gründe, die für einen Systemwechsel sprechen.

Durchschnittliche Beteiligung an der Gemeindeversammlung in der Schweiz nach Gemeindegrösse (Quelle: A. Ladner. Gemeindeversammlung und Parlament)

So sympathisch die ‚Direkte Demokratie‘ auch sein mag, das uns bestens bekannte und lieb gewordene System der Gemeindeversammlung hat einige grundsätzliche Schwächen, die mit einem grossen Gemeinderat resp. Parlament behoben werden könnten. So ist beispielsweise die freie Stimmabgabe oder die Meinungsäusserungsfreiheit kaum gegeben. Viele von uns haben Hemmungen, öffentlich zu sprechen oder erliegen dem Gruppendruck, wollen nicht auffallen. Andererseits können gewiefte Strateginnen und gut Rhetoriker die Meinung der TeilnehmerInnen (zu) stark beeinflussen.

Ebenfalls störend ist für mich, dass durch die 3 bis 4 gegebenen jährlichen Abendtermine, Teile der Bevölkerung systematisch ausgeschlossen werden. Ich denke da zum Beispiel an gehbehinderte SeniorInnen, Elternteile mit Kleinkindern, Ärzte und Pflegepersonal an Spitälern, Verkäuferinnen, Piloten und andere Schichtarbeiter. Gemäss A. Ladner sind an Gemeindeversammlungen Jüngere und Neuzugezogene massiv untervertreten, Alteingesessene, Ältere und Hauseigentümer hingegen übervertreten.

Die parteiische Sitzungsleitung empfinde ich ebenfalls regelmässig als Ärgernis. Gemeindepräsident und Schulpflegepräsidentin die als SitzungsleiterIn ihre eigenen Geschäfte vertreten können, haben eine deutlich bessere Ausgangslage in den Versammlungen im Vergleich zum Stimmbürger. Sie kennen nicht nur die Dossiers in- und auswendig, sie haben auch mehr Redezeit und immer das letzte Wort.

Ebenfalls bekannt ist, dass Versammlungen anfällig auf selektive Mobilisierung sind. Interessen-vertreter jeglichen Couleurs können bei den üblichen tiefen Beteiligungen mit wenig Aufwand ihre Klientel mobilisieren und so jedes Geschäft ‚durchwinken‘ oder zum Absturz bringen. Die Grenzen der direkten Demokratie werden auch in Wallisellen immer wieder deutlich aufgezeigt, auch an der vergangenen Versammlung an der es kaum Wortmeldungen und schon gar keine Diskussionen gab aber Weichen für eine grosse Investition für einen kleinen Teil der Bevölkerung gestellt wurden.

Anteil an Gemeinden wo Frauen und Jüngere an Gemeindeversammlungen untervertreten sind, nach Gemeindegrösse). (Quelle: A. Ladner. Gemeindeversammlung und Parlament)

Ein weniger bekanntes aber sehr wichtiges Manko ist die nicht funktionierende Kontrollaufgabe der Gemeindeversammlung. Wussten Sie, das gemäss heute gültigem Gemeindegesetz, die GV die Kontrolle über die Exekutive und die Verwaltung ausüben müsste? Natürlich ist dies unmöglich, unter anderem wegen den nicht vorhandenen Informationsmöglichkeiten. Die RPK darf bekanntlich nur die Finanzen überwachen und so werden Geschäfte, Behörden und Verwaltung halt nicht weiter kontrolliert.

Zum Schluss noch ein ganz gewichtiger weiterer Nachteil des politischen Systems mit Gemeinde-versammlung. Alle die komplexen und immer schwieriger zu lösenden Problemstellungen in unserer Gemeinde müssen im heutigen System von den wenigen Exekutivmitgliedern alleine gelöst werden, oft sogar nur innerhalb ihres Ressort’s. Dem Kollegen soll ja nicht dreingeredet werden. Vor 20 Jahren hatte Wallisellen noch 11‘000 Einwohner und 46 gewählte Behördenmitglieder. Heute mit knapp 17‘000 sind es noch 23 und mit einer Einheitsgemeinde werden es voraussichtlich noch weniger. Alle Geschäfte müssen von der Schulpflege und dem Gemeinderat im stillen Kämmerlein möglichst geheim ausgearbeitet werden. Da kann aufgrund der Verantwortung ein grosser Druck auf die einzelnen Personen entstehen. Und klar, dass dabei nicht immer das Optimum herauskommt. Es gäbe zwar auch heute schon Mittel, breitere Kreise und die Bevölkerung einzubinden, diese werden in Wallisellen leider nur sehr selten genutzt. Im aktuellen Prozess wurde eine solche Mitwirkung ansatzweise begonnen und dafür bin ich dankbar. Nutzen wir die Gelegenheit, machen wir uns kritische Gedanken zum bestehenden System, hinterfragen wir das ‚Gewohnte‘ und entscheiden uns am Schluss aufgrund unserer Erfahrung für das zukunftsträchtigste System für Wallisellen.

 

Anzeiger von Wallisellen vom 30.11.2017

 

 

weitere Materialien zur Neuen Gemeinde Organisation