Damit das Volk auswählen kann

Die neue Verfassung löste ein altes Problem: Was sollen die Stimmberechtigten tun, wenn ihnen an einem Vorschlag des Kantonsrats ein „Knackpunkt“ nicht gefällt? Ja stimmen und sich ärgern oder Nein stimmen und eine jahrelange im Übrigen unbestrittene Arbeit des Parlaments in den Shredder stopfen?

 

Mit dem Gegenvorschlag von Stimmberechtigten (auch „konstruktives Referendum“ genannt) gibt es nun einen Ausweg: Mit 3000 Unterschriften kann ein Gegenvorschlag zum umstrittenen Punkt formuliert werden. In der Abstimmung kann das Volk zum Ganzen Ja stimmen und aus den beiden Vorschlägen zum Detail auswählen.

 Das Volk erhält damit das gleiche Recht wie der Kantonsrat, der ebenfalls zu einer Volksinitiative einen Gegenvorschlag formulieren oder von einem umstrittenen Gesetzesartikel dem Volk zwei verschiedene Varianten vorlegen darf. Die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, CVP und BDP wollen dieses Volksrecht, das eine Zürcher Spezialität ist, nach sieben Jahren wieder abschaffen. Sie waren regelmässig über die eigentlich einfachen Regeln gestolpert und mit ihren Parolen beim Volk gescheitert.

Konstruktiv politisieren statt das Volk entmachten

 Besonders die SVP versuchte erfolglos, mit konstruktiven Referenden extreme Politik durchzudrücken statt im Kantonsrat einen Kompromiss zu suchen. Das letzte Beispiel, das kantonale Bürgerrecht, erlitt darum Schiffbruch. Die Abschaffung des konstruktiven Referendums riecht darum nach einer Trotzreaktion von Abstimmungsverlierern.

 Wir trauen den Stimmberechtigten zu, aus zwei oder drei Vorschlägen auswählen zu können. Wir trauen auch den meisten Parteien im Kantonsrat zu, Kompromisse einzugehen und auf Minderheiten zu hören. Deshalb ist die Abschaffung eines Volksrechts nach nur sieben Jahren eine undemokratische Zwängerei.


Dieser Artikel erschien im Anzeiger von Wallisellen vom 13.9.2012