SP: Warum wurden AKWs gebaut?

Der Kernkraftunfall in gleich mehreren japanischen Reaktorblöcken versetzt uns alle in einen kollektiven Schockzustand. Schon wieder ist passiert, was eigentlich nie oder nur alle hunderttausend Jahre hätte passieren sollen, der GAU in einem Atomkraftwerk.

Während sich nun die Kernkraftbefürworter vorübergehend in Demut üben und die Gegner sich schon fast dafür entschuldigen müssen, recht gehabt zu haben, erinnere ich mich an meine Schulzeit, an den Augenblick, als ich zum Kernkraftgegner wurde. Vor rund 35 Jahren erklärte unser Physiklehrer – sichtlich um Neutralität bemüht – die Funktionsweise eines Kernkraftwerks anhand von Gösgen.

Mir war sofort und völlig unbeeinflusst von bereits stattfindenden Debatten klar, dass es nicht zu verantworten war, eine derart gefährliche Technologie anzuwenden. Allein die Vorstellung, dass Abfälle produziert wurden, die 250‘000 Jahre lang eine Gefahr darstellten, empfand ich als unbeschreiblich hochmütig. Noch kein Staat und noch keine Firma hat je länger als 1500 Jahre existiert. Und auch das Risiko, dass ganze Städte und Landstriche unbewohnbar werden können, schien mir nicht hinnehmbar. Die Restrisikogleichung lautet fast Null mal fast Unendlich. Weil die Mathematik dafür keine vernünftige Lösung hat, wollte noch nie ein Versicherer eine Vollkaskoversicherung für ein AKW übernehmen.

Die Frage

Über die Folgen der Katastrophe und die Zukunft der Energiepolitik wird derzeit viel diskutiert. Mich beschäftigt zusätzlich eine andere Frage. Es war nicht besonders schwer für mich, bereits damals zu einer richtigen Bewertung der Atomfrage zu kommen. Für mich hätte es auch keinen einzigen Unfall gebraucht, um diese Überzeugung zu bestätigen. Allein die Möglichkeit, dass es geschehen könnte, ist nicht akzeptabel. Man muss nicht besonders viel wissen und verstehen, um zu dieser Ansicht zu kommen. Umso erstaunlicher ist es für mich, dass dennoch in der Schweiz fünf und weltweit hunderte von AKWs gebaut wurden. Und nicht etwa nur in Diktaturen. Was ist mit der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung los, dass es immer wieder zu derart gegen die Interessen der Menschen gerichteten Resultaten kommt?

Fideismus

 Bereits vor rund achthundert Jahren prägte der Theologe Thomas von Aquin den Begriff des Fideismus und geisselte ihn als Ursache vieler Übel. Fideismus ist, wenn man das Richtige nicht tut, obwohl man genau weiss, was das Richtige wäre. Dies geschieht, indem man für sich ganz persönlich einen Vorteil darin sieht, das Falsche zu tun. Sei es nun, dass man die 3 Rappen sparen will, die der Atomstrom angeblich billiger ist, seien es die Arbeitsplätze, die Steuereinnahmen oder die anderen „Belohnungen“, welche die Atomlobby jenen Politikern und Journalisten zukommen liess, die ihre Interessen vertraten. Kürzlich gab es in Wallisellen eine Aufregung, weil unsere Werke das Richtige taten. Sie erklärten einen etwas ökologischeren Strommix zum Normalangebot, wer Atomstrom wollte, sollte es explizit bestellen. Die Heftigkeit einiger Beiträge zu diesem Thema zeigte deutlich, dass Fideisten ihre Illusion eines guten Gewissens vehement verteidigen. Die 3 Rappen wollten sie sparen, ohne dafür moralisch am Pranger zu stehen.

 Lernen aus Fehlern?

Die Ursache solcher Katastrophen ist der Mensch und somit weiterhin wirksam, selbst falls wir aus diesem Unglück nun die richtigen Schlüsse für die Stromerzeugung ziehen und die nötigen Korrekturen vornehmen sollten. Es wird weiterhin erlaubt sein, mit viel Geld und Propaganda falsche Informationen zu verbreiten und mit wirksamer Lobbytätigkeit die Regierungen und Parlamente zu korrumpieren. Das Ausmass, mit welchem dies geschieht, ist alarmierend. Eine von Lobbyisten formulierte Regelung zur Firmenbesteuerung tritt gerade in Kraft und könnte unsere Bundesfinanzen mit der zerstörerischen Gewalt eines Tsunami hinwegfegen. Und unser Gesundheitswesen ist so konstruiert, dass es nicht unserer Gesundheit dient, sondern den Geldinteressen von Kassenfürsten, der Apparatemedizin und der Pharmaindustrie. Wer aus den gemachten und nun deutlich sichtbar gewordenen Fehlern lernen will, sollte damit aufhören, sich von manipulativen Kampagnen beeinflussen zu lassen, und damit beginnen, sich besser zu informieren und selbst eine Meinung zu bilden. Klugheit des Volkes ist das beste Mittel gegen unehrliche Politiker. Seit es das Internet gibt, ist das sogar leichter geworden.

Dieser Artikel erschien im Anzeiger von Wallisellen